Probleme des gesetzlichen Krankenversicherungsschutz f. Bürger im Rentenbezug

Veröffentlicht am 3. Mai 2024
Kategorien: Berlin | Renten

Probleme des gesetzlichen Krankenversicherungsschutz f. Bürger im Rentenbezug und des ungleichen Zugangs zum gesetzlichen Pflichtversicherungsschutz

>>Nachdem ich seit Februar keine Antwort bekommen habe, habe ich an weitere Organisationen gewendet.  Als Bürger ist man wohl keine Antwort wert!!  Wir haben ja auch an der Wahlurne unsere Stimme „abgegeben“ !!<<

Sehr geehrter Herr Heil,

zunächst möchte ich mich für Ihre sozialdemokratische Arbeit und der Verbesserungen der sozialen Sicherung unter dem Dach des Sozialstaates bedanken.
Da ich mein ganzes Leben für solche Fragen sensibel war und weiterhin bin, sehe ich mich veranlasst, Ihnen in der Sache ein Defizitär-Problem zu skizzieren, das wenig Beachtung findet.

Es handelt sich um den Krankenversicherungsschutz für Bürger im Rentenbezug. Genauer: um den ungleichen Zugang zum gesetzlichen Pflichtversicherungsschutz und die damit verbundenen existentiellen Problembelastungen für Bürger.

Ich möchte dies an meinem persönlichen Beispiel skizzieren, das in der Breite eine erhebliche Problembelastung für rund 400 bis 500.000 Bürger im Rentenbezug darstellt.

Zu den Fakten:
Ich selbst beziehe eine Regelaltersrente von unter 1000,- €. Der gesamte Sozialversicherungsrahmen, gerechnet vom 1. Erwerbstag, umfasst in meinem Fall mehr als 51 Jahre Erwerbsleben. Enthalten sind Ausbildungszeiten, Arbeitslosenzeiten, Praktika, geringfügige Teilzeitbeschäftigungen usf.
Im Zuge meiner Rentenbeantragung im Sept. 2020 wurde ich ordnungsgemäß nahtlos weiter krankenpflichtversichert.

In den folgenden Monaten erhielt ich überraschend Post von meiner Krankenkasse, in der mir mitgeteilt wurde, dass eine Pflichtversicherung für mich nicht möglich sei, da ich die Voraussetzungen nicht erfüllen würde(?). Ich hätte nur die Möglichkeit freiwillig gesetzlich versichert zu werden, wobei die Krankenkasse bei Pflichtversicherten im Rentenbezug von einer KVdR (Krankenversicherung der Rentner) spricht, was nichts anderes als die Pflichtversicherung für Bürger im Rentenbezug ist.

Durch die fortgesetzten Schreiben der Krankenkasse stellte sich nach und nach heraus, dass man in der 2. Versicherungshälfte 90 % der Versicherungszeit pflichtversichert gewesen sein muss, um im Rentenbezug weiterhin pflichtversichert sein zu können, was mir völlig unverständlich war.
Das umfasst in meinem Fall die 2. Hälfte meiner Erwerbsbiografie von rund 25/26 Jahren, die vor 22/23 Jahren! durch mehrere fehlende Monate, nicht erfüllt werden.

Der Grund dafür ist einfach: Nach einem Arbeitsplatzverlust zog ich es vor, mich vorübergehend  mit Mini- und Gelegenheitsjobs durchzuschlagen, anstatt beim Jobcenter Leistungen zu beantragen. Ein Krankenversicherungsschutz war damals aus eigener Kraft für mich überhaupt nicht möglich, da man mit einem schwankenden Minimaleinkommen von ca. 300 – 500 € sich nicht krankenversichern kann!

Der Mindestbetrag zur gesetzlichen Krankenversicherung belief sich damals auf über 300,- € monatlich.
Ich hatte somit schlicht keine Möglichkeit, mich gesetzlich krankenversichern zu können!
Diese überaus schwere Zeit ohne Krankenversicherungsschutz konnte dann nach ca. 2-3 Jahren beendet werden, indem ich durch eine Teilzeitarbeit wieder pflichtversichert wurde.

Die Regelung, dass man in der 2. Hälfte des  Krankenversicherungsverlaufs zu 90% pflichtversichert sein muss, um im Rentenbezug weiterhin pflichtversichert zu bleiben – ohne Rücksicht auf die Gründe – war mir nicht bekannt.
Diese „Überraschung“ bei Rentenbeginn betrifft gleichermaßen hunderttausende von Bürgern.

Das SGB V spricht hier von einer 9/10tel-Regelung, deren Begründung unerfindlich ist.
Warum nicht 7/10? Warum nicht 3/10? usf., warum nicht in der 1. Verlaufshälfte, warum nicht im Gesamtverlauf – und: warum überhaupt?
Es gibt keinerlei! sachliche Begründung dafür.
Es gibt auch keine Möglichkeit, nach Beantragung der Rente durch Weiterarbeit und Weiterversicherung noch irgendeinen Einfluss darauf zu nehmen.

Man kann sagen: obwohl man eine erhebliche Schwierigkeitsphase während des Erwerbs – und Versicherungsverlaufs aus eigener Kraft durchgestanden hat, wird man bei Renteneintritt ein 2. Mal – diesmal bis zum Lebensende – unabänderlich bestraft.
Außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung war ich niemals versichert! Und wegen einer unfreiwilligen Versicherungslücke von wenigen Monaten soll der Zwang zu einer ebenso unfreiwilligen Krankenversicherung rechtmäßig sein?

Die Unterschiede zwischen Pflichtversicherten und den freiwillig (Pflicht-)versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung sind beträchtlich. Wobei eine Freiwilligkeit gar nicht besteht.
Denn: Sofern man dies nicht beantragt, wird man automatisch zum Höchstbetrag (zwangs-)versichert. Die Bezeichnung einer „freiwilligen“ Versicherung ist somit grundfalsch.
Der Höchstbeitrag liegt inzwischen bei über 1000,- €/Monat, was zu einer unausweichlichen Verschuldung bis in den Ruin führt, wie dies in der gesellschaftlichen Praxis tatsächlich vorkommt.

Die Belastungen bei jeder Art „freiwilliger“ Versicherung sind schwerwiegend, schon allein durch ständiges Sich-erklären-müssen usw., da KV-Beiträge bei dieser Art Krankenversicherung auf jede Art von Einkommen erhoben werden. Selbst die  steuerpflichtige Vermietung einer Garage wird beim Krankenversicherungs-Beitrag als Einkommen gerechnet.

Der Mindes – Krankenversicherungsbeitrag bei der AOK Nordost beträgt beispielsweise ab 01.01.2024 302,15 € und wird durch den Rentenversicherers bei einer monatlichen  Rente von ca. 1000,– € mit ca. 80,- € bezuschusst, wodurch eine persönliche Beitragsbelastung von ca. 220,- € bestehen bleibt.
Zugrunde gelegt wird ab 01.01.2024 allerdings ein rechnerisches Minimaleinkommen von 1.503,21 €.
D.h., der KV-Beitrag von 302,15 € mtl. ist für alle Rentenbezieher bis zu einer Rentenhöhe von 1.503,15 € konstant.
Das betrifft ebenso auch Rentner mit 700,- , 600,- 500,- oder noch weniger Rente. Mir persönlich sind mehrere Fälle mit einem Rentenbezug von 200,– und 300,– € bekannt.
In all diesen Fällen muss auf den kommunalen Sozialhilfeträger und Grundsicherung im Alter ausgewichen werden, wofür die  Krankenversicherungsbeiträge erheblich mitverantwortlich sind.

Die Grundrechtswidrigkeit durch die Ungleichbehandlung zwischen Bürgern im Rentenbezug wurde durch das Bundesverfassungsgericht bereits vor Jahren festgestellt und beanstandet.
Beanstandet wurde darin der ungleiche Zugang zu dem gesetzlichen Pflichtversicherungsschutz f. Bürger im Rentenbezug.
In meinem Fall geht es jedoch gar nicht um einen Neuzugang zum gesetzlichem Versicherungsschutz, sondern lediglich um die Weiterführung des Versicherungsschutz aus einem Erwerbsverlauf von 51 Jahren, der lediglich eine unfreiwillige Lücke von wenigen Monaten aufweist, die unglücklicherweise in der 2. Erwerbshälfte! lagen und ca. 22/23 Jahre zurückliegt.
Wäre die Lücke wenige Jahre zuvor – in der 1. Erwerbshälfte – entstanden, hätte dies überhaupt keine Auswirkung und ist eine weitere Beliebigkeitsregelung, für die es keine sachliche Begründung gibt und sich nochmals als grundrechtswidrig beurteilt.

Die sogenannte 9/10tel – Regelung, allein bezogen auf die 2. Erwerbshälfte! als Zugangsvoraussetzung zur gesetzlichen Pflichtversicherung beurteilt sich somit als schweren Eingriff in die grundrechtliche  Gleichbehandlung von Bürgern im Rentenbezug.

Es liegt auf der Hand, dass nur
durch Änderung, Abschaffung oder Streichung der sachgrundlosen und willkürlichen 9/10tel – Regelung in der 2. Erwerbshälfte  im SGB V die grundgesetzliche Gleichbehandlung von Bürgern wieder hergestellt werden kann.

Dass die sachgrundlose 9/10tel-Regelung durch Aufhebung der bestehenden grundrechtswidrigen Ungleichbehandlung im SGB V durch Streichung abgeschafft werden muss, ist offensichtlich.
Es gibt auch keinerlei Härtefallregelung, keinerlei Härtefallkommission oder sonstiges.

Verantwortliche Ursache dafür ist § 5, Abs 1, Satz 11 des SGB V, wovon Hunderttausende von Bürgern im Rentenbezug schwerwiegend und existentiell benachteiligt sind.

Im Interesse aller Bürger bitte ich Sie, alles zu tun, was in Ihrer Macht steht – vielleicht über eine Gesetzesinitiative, die grundrechtswidrige Ungleichbehandlung von Bürgern im Rentenbezug aufzuheben, die für viele schwerwiegende Belastungen sind und existentiell sind.
Sachlich-inhaltlich befinde ich mich in Kontakt mit verschiedenen Sozialinitiativen, -verbänden usw.

Im Sinne des gesetzgeberischen Handlungsbedarfs wünsche ich Ihnen weiterhin viel Erfolg für Ihre Arbeit und der weiteren Verbesserung  der sozialstaatlichen Gegebenheiten, der Sozialgesetzgebung und der verfassungsmäßigen Grundrechte für die Bürger.

Vielen Dank
Mit freundlichem Grüßen

gez. manfred gill
12159 Berlin

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